Theobald Nöthig                    Für die Gefallenen

 

Motto:

 

Der Teufel ohne Anhang bliebe,

Hülfen nicht die Seelendiebe;

Hunger und verratene Liebe.

 

Mit eurer Seelenhohheit ihr euch brüstet

Und schwört, daß ihr so tief nie würdet fallen,

Obgleich ihr auf die Frage: Wer von allen

Ist frei von Sünde? auch erröten müßtet.

 

Hat nach verbotner Frucht euch nie gelüstet,

Wenn ihr der Schlange Lockruf hörtet schallen?

Seid ihr, wenn schneller eure Pulse wallen,

Denn immer mit Unfehlbarkeit gerüstet?

 

Oh, stündet ihr an abgründlicher Stelle,

Wo bleich Verlassenheit und Armut winken,

Wer weiß, ob eure Augen blieben helle.

 

Ob noch so schwindelfrei sich manche dünken,

Nicht sicher sind sie, daß auf hoher Welle

Im Lebenssturm sie seekrank niedersinken.

 

 

 

 

 

Theobald Nöthig                    Scham

 

Ein Bild nahm meine Seele jüngst gefangen:

Ein junger Römer, der im Morgenstrahle

Nach hause schwankt von wüstem Bacchanale,

Sieht eine Christenmaid am Kreuze hangen.

 

Für ihren Heiland starb sie ohne Bangen.

Ihm glüht in Scham das Angesicht, das fahle;

Er nimmt den Kranz, der ihn geschmückt beim Mahle,

Und läßt die Rosen ihr zu Füßen prangen.

 

Wie jener Römer taumelt noch und schwärmt

So mancher Jüngling bis zum frühen Morgen

Im Arm der Lust, die flüchtig ihn erwärmt.

 

Da kehrt er heim und sieht am Kreuz der Sorgen

Die Mutterliebe bleich und abgehärmt,

Und er bekehrt sich, still in Scham verborgen.